Google Street View: Stuttgart im Internet
18. August 2010 von H. Wittmann
Ergänzung: (19.8.2010)
Google hat nachgegeben und verlängert die Einspruchsfrist gegen die Darstellung von Fotos in seinem Dienst Street-View bis zum 15. Oktober 2010: > Aigner feiert Vier-Wochen-Erfolg gegen Google SPIEGEL ONLINE, 19. August 2010. Außerdem weist Google daraufhin, dass auch noch nach der Einspruchsfrist Einspruch erhoben werden kann. Ist das ein Erfolg, gar ein Grund zur Freude? Google macht einfach etwas und bietet uns eine Einspruchsfrist an? Das ist ja so, als wenn ich falsch parken würde und die Frist für die Verjährung des Knöllchens selbst bestimmen würde? Das war bei seinem Bücherdienst auch so. Erstmal scannen und darauf warten, ob der Rechtebesitzer es merkt und ob er sich aufrafft, die Google-Instanzen zu bemühen, um das Buch wieder löschen zu lassen. Wahrscheinlich kann man demnächst in Google seinen Namen ändern – wie Google-Chef Eric Schmidt sich dies vorstellt, s.u. – und anklicken, welche Informationen künftig mit dem neuen Namen noch verbunden sein dürfen. Vielleicht kriegen wir irgendwann auch Google-Papiere oder eine Google-Card (Idee: © H. Wittmann, 2010), die mit allem was Google über uns weiß, eine einwandfreie Identifizierung ihres Inhabers erlaubt? Die Google-Card wäre dann auch jedem noch so fälschungssicheren Ausweis überlegen. Und die Namensänderung wäre so etwas wie eine Reset-Taste und wenn nötig, rückt Google die vollständige Daten(bio)graphie des Inhabers heraus.
Stadt Stuttgart: > Bürgerinformation zu Google Street View
> Urheber- und Persönlichkeitsrechte werden verletzt Legal Tribune online (zusammen mit SPIEGEL online)
Google plant, seinen Dienst Google Street View bald auch für Stuttgart freizuschalten. Thomas Darnstädt hat dieses Vorhaben am 11. August 2010 auf SPIEGEL-Online kommentiert > Die lächerliche Angst vorm bösen Blick. T. Darnstädt ist Verfassungsrechtler und schreibt über Rechtspolitik, Bürgerrechte und internationales Recht. Im Vorspann zu seinem Artikel heißt es zur Aufregung der Datenschützer: “Doch ihre Aufregung ist nicht mehr als die provinzielle Furcht vor der allgegenwärtigen Öffentlichkeit – und in einer offenen, global vernetzten, kommunikativen Welt nicht zeitgemäß.” Das ist auch der Tenor von Darnstädts Kommentar. Zunächst erinnert Darnstädt an das Urteil des BVG von 1973: “Tatsächlich haben die Karlsruher Richter in ihrem berühmten ‘Volkszählungsurteil’ von 1983 die Verfügungsgewalt über persönliche Informationen zum rechtlichen Gut erklärt, das im Range gleich mit dem Recht auf Leben und Freiheit als ‘Persönlichkeitsrecht’ unmittelbarer Ausdruck der Menschenwürde ist.” In Bezug auf Google Pläne kann Darnstädt ein Interesse am Datenschutz überhaupt nicht verstehen: “So können sie sich das nicht vorgestellt haben in Karlsruhe. Das Fotografieren von Hausfassaden als Verletzung der Menschenwürde? Die Veröffentlichung von Ablichtungen bewohnter Häuser und belebter Straßen als Eingriff ins Persönlichkeitsrecht? Jede Idee, zu Ende gedacht, führt an die Wand.” Natürlich gilt die Panoramafreiheit, man darf das Haus seines Nachbarn photographieren, was mich aber stört, ist die planvolle Erfassung einer ganzen Stadt in alle Blickrichtungen durch ein Privatunternehmen, das auf diese Weise eine Unmenge Daten – und Geld – auf unsere Kosten sammelt. Ein bisschen schlechtes Gewissen wird bei Google schon erkennbar, immerhin dürfen Mieter und Eigentümer verlangen – wenn auch nur in einer kurzen Zeitspanne -, dass ihre Immobilie unsichtbar – wobei der Welt auch gleich gezeigt wird, hier wohnt jemand, der etwas verbergen möchte – gemacht wird. Natürlich wollen manche Zeitgenossen gerne sehen, wie und wo ihre Bekannten, Freunde oder Kollegen wohnen. Klar sie können hinfahren und gucken, aber da ist genau die kleine Hürde, die unser Heim vor den Blicken der Neugierigen schützt, und das sollte auch so bleiben. Und Google ahnt auch schon, was in Sachen Datenschutz noch auf uns hinzukommen wird: Eric Schmidt, der Chef von Google, schlägt schon mal vorzüglich vor, Jugendliche sollten beim Eintritt ins Erwachsenenalter ihren Namen ändern können, um sich von Jugendsünden im Internet reinzuwaschen. S. hier letzter Absatz.
“Die amtliche Aufregung verhilft einer provinziellen Ängstlichkeit vor dem bösen Blick des Nachbarn zum Durchbruch – in einer Welt, in der wir so stolz darauf sind, offen für alles, global vernetzt und unglaublich kommunikativ zu sein.” Darnstädt vermischt hier einiges. Politiker und amtliche Stellen dürfen und sollen sehr wohl ihre Sorgen vor jeder Datensammelwut zum Ausdruck bringen, ihr Bewusstsein dafür kann gar nicht genug geschärft werden. Die Sorgen vor dem Datenmissbrauch jeder Art hat aber nichts mit einer “provinziellen Ängstlichkeit” zu tun; diese Sorge ist unser gutes Recht und eine zwingende Notwendigkeit. Und sind wir wirklich auf die allgegenwärtige, globale Vernetzung so stolz? Da haben wir überhaupt gar keinen Grund dazu, und das brauchen wir uns von Darnstädt auch nicht einreden zu lassen. Vielleicht hätte Google sein Projekt aufgeben müssen, wenn das Unternehmen sich vorher bei jedem Bewohner eine Erlaubnis für die Fahrten seiner Kameraautos eingeholt hätte. Mit Büchern ist Google ja auch nicht zimperlich umgegangen. Die Möglichkeiten des ungebremsten und unkontrollierten weltweiten Datenaustauschs will Darnstädt uns als eine Segnung unseres Zeitalters präsentieren. Aber auch wenn man das oft wiederholt, wird das nicht einsichtiger.
Darnstädt ahnt sehr wohl, dass Google mit seinen Straßenfotos Geld verdienen will. Das ist ja auch grundsätzlich nichts Anrüchiges. Immobilienmakler, Werbetreibende jeder Couleur und viele andere werden sich über die Straßen-Fotos freuen und gerne ihre Mitmenschen ausspionieren. Wer wohnt wo, wie kann man ihn ansprechen? Außerdem wird Google die Daten über uns, die gesuchten Seiten, die aufgerufenen Seiten, die Verweildauer, die in Google-Books gesuchten Bücher, die Anzahl der heruntergeladenen Bücher speichern und wahrscheinlich irgendwann der Versuchung nachgeben, diese Daten zusammenzuführen, zu verkaufen oder sonst irgendetwas damit anzustellen. Diejenigen, die die Datensammelwut von Google unbedenklich finden, werden sich nicht wundern, wenn auf irgendeiner Google-Seite eines Tages ein Hinweis aufpoppt, man möge seine Bücher in die Bibliothek zurückbringen oder nicht vergessen, sein Medikament einzunehmen.
Google trägt dazu bei, unsere Existenz noch ein bisschen durchsichtiger zu machen, noch mehr zielgerichtete Werbung für uns vorzubereiten, uns noch ein bisschen mehr einzureden, dass online schöner als offline ist und die Spielregeln für unser soziales Zusammenleben zu beeinflussen, in dem es uns vorgaukelt, seine Straßenfotos geben die Wirklichkeit wieder, wo doch das Eintreffen in einem Hotel von auch von ganz anderen Bedingungen abhängt, wie z. B. den Menschen und den Gesprächen, die man dort führt. Fotos sind ein Augenblickbild und Google will uns mit Streetview die Wirklichkeit zeigen, wo wir hinfahren. Die Verarmung, die dieser Anspruch mit sich bringt, kann jeder bestätigen, der gerne reist und der sich die Neugier von Google nicht nehmen lassen will. Vielleicht können sich künftig bestimmte Stadtquartiere gar nicht mehr verändern, weil man dort nach einem Blick in Google-Street-View einfach nicht wohnt?
Aufhalten kann man die Straßenfotos von Google wohl nicht, aber man muss in dieser Welt dauernd drauf achten, dass die Versuche, unsere Privatsphäre zu digitalisieren, in Grenzen gehalten werden.
Google und unsere Daten? Alles halb so schlimm. Der Chef von Google Eric Schmidt kann uns alle beruhigen: “Mr. Schmidt is surely right, though, that the questions go far beyond Google. “I don’t believe society understands what happens when everything is available, knowable and recorded by everyone all the time,” he says. He predicts, apparently seriously, that every young person one day will be entitled automatically to change his or her name on reaching adulthood in order to disown youthful hijinks stored on their friends’ social media sites,” steht in: > Google and the Search for the Future. The Web icon’s CEO on the mobile computing revolution, the future of newspapers, and privacy in the digital age. The Wallstreet Hournal, 14. August 2010.